23 Jun

Zombies, Vampire. Fleisch und Blut: Die Verdauung der Menschheit.

When there’s no more room in hell

the dead will walk the earth.“

Dawn of the dead – George A. Romero

Vor einigen Jahren traf ich mich mit Freunden, um den Zombie-Parodien Klassiker Braindead von Peter Jackson anzuschauen. Vorab musste der Film, da damals noch indiziert, illegal heruntergeladen werden. Nichtsahnend öffneten wir also die Datei des Films, darauf gefasst viel Blut, Gedärm und Hirnmasse zu sehen, und erblickten ein kurzes, vielleicht zehn Sekunden dauerndes Standbild, das vom Herausgeber Sickboy88 vor den eigentlichen Film geschnitten worden war. Das Bild, ein Schwarzweissfoto, zeigt einen Berg von nackten, abgemagerten Leichen, die von einem danebenstehenden Raupenbagger, der immernoch mehr Leichen auf seiner Schaufel hatte, angehäuft worden war. Das Foto zeigte das Grauen eines Konzentrationslager, es zeigte das nichtgeschehendürfende Leid von Millionen von Menschen. Ich fragte mich damals, warum dieses Foto von einem Fascho vor diesen Film gestellt worden war und konnte mir keine Antwort darauf geben. Erst letzte Woche, als ich mit einem anderen Essay beschäftigt war, das auch die Schrecken von Auschwitz zum Thema hatte, tauchte in mir die Spur einer Antwort auf. Ich fragte mich, ob nicht die postmoderne Horrorkunst dargestellt als blutrünstige Menschen fressende Vampire und antropophage, hirntote Zombies als Reaktion auf den Holocaust gelesen werden könnte? Was wäre, wenn das Grauen des Holocaust als das neue, nicht in vorhandene Narrative einzureiende Moment im Horror der Popkultur als solches betrachtet werden würde?

Arendt sagt in ihrem Monumentalwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, dass der Holocaust das Grauen und das Moment des „nicht geschehen dürfen“ dadurch hervorruft, weil es nicht in einen Kontiniuitätszusammenhang menschlicher Erfahrung gesetzt werden kann. Nach Auschwitz kann nicht weiter gemacht werden wie zuvor, weil niemand die Verantwortung dafür übernehmen kann, aufgrund der Unmöglichkeit der Verbindung an andere, frühere Erfahrungen oder Katastrophen. Der Holocaust kann keinen Sinn haben in der Welt. Gerade daraus folgert Adorno, dass Kunst nach Auschwitz darum das Grauen und das Leiden, die sich aus den Erfahrungen der Lager ergibt, nie vergessen lassen darf und daher eigentlich keine Kunst mehr möglich wäre. Denn da wo Kunst ist, wird genossen. Dennoch aber, um dieser Erfahrung eine Stimme geben zu können und auch Trost, diese verhandeln muss, womit ihr aber ein Teil des Grauens abhanden kommt. Sie muss den Rezipienten aufrütteln, ihn schrecken und den Widerspruch spüren lassen: Es muss das Grauen erlebt werden, sich einbrennen und eben nie vergessen werden. Denn sowohl für Adorno als auch Arendt sind die Erfahrungen aus Auschwitz nicht ein singuläres Moment, sondern die äusserste Konsequenz totaler Herrschaft, die sich nicht nur im Nationalsozialismus zeigt, sondern auch, wie Adorno meint, in der westlichen Welt, die in einem beschädigten Leben vor sich hinvegetiert, dominiert durch die sich totalisierende Herrschaft der Produktion, des Kapitalismus. Das Ziel jeglicher totalen Herrschaften ist es ein Telos1 zu erreichen, für das die Menschen zu reinen Mittel gemacht werden. Sie werden zu einem reinen Fleischkörper eisern zusammengebunden und exekutiert, um den Prozess der Erreichung des Telos zu beschleunigen. Im Kapitalismus sind die Menschen Mittel dafür, das möglichst viele Waren produziert werden können, die wiederum die Menschen beherrschen. Die Produktion wird ins unermessliche gesteigert, damit ein endloses Wachstum generiert werden kann. Die Menschen sollen in einer scheinbaren Welt leben, der verdinglichten Welt, die absoluten Sinn ergibt, die den Blick verwehrt auf das „eigentliche“ sinnbefreite Leben, der Umkehrung eines Mittel und Zweck-Verhältnisses: Nicht die Produktion arbeitet für die Bedürfnisse der Menschen, sondern die Menschen für die der Produktion.

In 30 days of night, einem amerikanischen Indie-Comic aus dem Jahr 2008, erscheinen aus dem Nichts zwanzig Vampire in der nördlichsten Siedlung der USA, Barrow, Alaska, die im Winter dreissig Tage ohne Sonnenlicht bleibt. Sie sind gekommen, um die 500 Menschen dieses Dorfes, die abgeschnitten sind von jeglichen anderen Menschen, in einer grauschwarzen Einöde aus Eis, zu fressen.

And so it began. The invasion. The attack. The massacre. It coudn’t have worked out better. The humans never saw them coming, and didn’t know what to do once they arrived. […] They have feasted on the men, women and children of Barrow without mercy and without pause. This is the world of which they have only dreamed. Endless night, and endless supply of blood and meat. This is how it meant to be: humans, like bottles, waiting for their caps to be popped. Some of the blood-meat try to escape. […] But the undead engulfed them and they fell, bleeding into death at the hands of the swarm.»

Menschen verkommen zu Waren, denen als einzige Möglichkeit des Handelns, die Vorbereitung zu sterben, bleibt. Die Menschen sind Fleisch, Gegenstände, die als Nahrungsmittel zur Lebenserhaltung der konsumgeilen, arroganten und sinnlos vernichtenden Untoten dienen müssen. Sie verstecken sich, versuchen sich von der Tatsache ihres Daseins zu verbergen, nur um in den schwarzfinstern Schlund der Vampire zu blicken, die blutig lachen. Die Körper der Menschen werden aufgerieben, nicht nur leergetrunken, sie sind nur noch Brei, die Siedlung dem Erdboden gleichgemacht. Die Sinnlosigkeit wird dialogisch thematisiert: „Wait! P … please … I … I don’t un… understand! No, why is this happening? Please. I’ll do -“, gefolgt von der Verspeisung und dem Anblick des blutumrankten Schlundes, der bekränzt ist von schartigen Zähnen. Sie wird jedoch noch untermahlt durch die Ambivalenz des Vampires als Tötungsmaschine selbst. Der Untote vernichtet: Der, der weder tot noch lebendig ist, der, der wieder aus den Gräber aufersteht, kommt, die Menschen zu töten. Das Grauen ob des sinnlosen Todes und das Schrecken über die Überflüssigwerdung des Menschens ist hier gepaart in äusserst krassen Art. Dennoch wird das Narrativ des üblichen Rache-Splatters übernommen und dadurch verliert das Werk an Kraft und gewinnt an Sinn: Diese graphic novel ist solange erfüllt vom Grauen, der sich im Holocaust zeigt, der Entmenschlichung des Menschen und dessen Vernichtung, solange das Narrativ des Grauens, der Totilitarismuskritik aufrecht erhalten wird. Sobald eine gewisse Katharsis einsetzt und die Menschen sich retten können, dem Morden, dem Grauen einen Sinn verleihen können, dem Ausgeliefertsein durch ihre menschliche Qualität der Spontaneität entkommen können, verliert das Grauen seine Kraft und der Genuss kann einsetzen.

In dem Mammutwerk the walking dead von Robert Kirkman wird diese Erfahrung erbarmungslos verhandelt. Nach einer unbekannten Katastrophe wandelt eine Gruppe Menschen durch eine postapokalyptische Welt voller klassischer Zombies, die aphatisch, hirntot und verwesend durch die Welt treiben. Die Menschen sind eingesperrte Wesen in einer feindlichen Welt, die sie bedroht zu willenlosen Sklaven zu werden, die ewig vegetieren oder in den Mägen der Toten verdaut werden sollen. Auf dem Umschlag meiner Ausgabe der ersten 48 Heften steht geschrieben:

The world we knew is gone. The world of commerce and frivolous necessity has been replaced by a world of survival and responsibility. […] In a world ruled by the dead, we are forced to finally start living.“

Wie der Titel des Werkes an sich ist auch bei diesen Textstellen nicht klar, wie diese Informationen zu verstehen sind. Ist es auf die Welt, in denen die Menschen als Subjekte frei handeln und bestimmen konnten, oder auf die scheinbare Welt des Konsums bezogen? Gleich der Titel: sind die walking dead die Zombies, die wandernd die Welt in den Abgrund stürzen, oder die übriggebliebenen Menschen, die durch ihr Verhalten erst die Entscheidung über die Zukunft der Menschheit bestimmen? Im Mittelpunkt der Handlung dieser nichtabgeschlossenen Comicreihe stehen nicht die Zombies, sondern die Menschen und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen. Es wird die Frage aufgeworfen, wie in einer Situation der Katastrophe ein neues Leben aufgebaut werden kann. Diese Frage stellt sich als schwieriger als gedacht, gerade dadurch, dass die Menschen in ihren Vorstellungen, gespeist aus Traditionen und zu spielenden Rollen, grausamer erscheinen als die Zombies. Es scheint mir, als wäre die Konzeption Adornos, die eines beschädigten Lebens, hier im Scheinwerferlicht dargestellt: Der Vorhang wird gehoben, damit die Menschen auf die zu Fleischmassen verkommenen und zur totalen Vernichtung bereitseienden blicken können, während sie versuchen sich davon und ihren veralteten Strukturen zu lösen und in eine menschenwürdige Zukunft zu gelangen. Auch in diesen Büchern ist das Grauen über den sinnlosen und sinnlos gewordenen Tod vermittelt, der nicht sterbenwollenden Toten und der Degradierung des menschlichsen Lebens zu reinem Fleisch, was sich in den realistisch gezeichneten Gore-Bilder trefflich zeigt, nicht zuletzt in ihren fetischistischen Qualitäten. Die Reihe pendelt sich in das Narrativ des Grauens ein und lässt den Rezipienten nicht entkommen. Insofern ist the walking dead weniger ein postapokalyptisches als vielmehr präapokalyptisches Werk und verhandelt die Möglichkeit einer Utopie der Menschheit oder ihren Untergang durch ihre eigene, geschaffene Verdauung.

1 Der Begriff Telos wird in der Bedeutungsvielfalt des altgriechischen τέλος, das sowohl Ende, Ziel aber auch Zweck bedeuten kann, verwendet. Dies lässt das Determinierende und Prozessartige in totalitären Weltvorstellungen einerseits miteinbeziehen, als auch die Umkehrung von Ziel und Zweck in der Argumentation Adornos, wobei aber das Zielgerichtete und teilweise auch Endliche nicht verloren geht.

21 Jun

Die verborgene Übersetzung der DNA

Die verborgene Übersetzung der DNA

von Tim Gallusser

vorgetragen auf dem LitUp! »Translatieren? – Translatieren!«, 12.06.2015


 

Das Ablesen von DNA nennt man Translation“, sagt jemand auf einer Website zur Problemklärung in der Deutschen Sprache. Das Verb davon ist daher vom Lateinischen translatum, einer Partizipbildung, abgeleitet.

Als ich mir überlegte, was »Translatieren« bedeuten kann, kam mir dies zwar nicht in den Sinn, dafür aber eine Geschichte.

primus ab aethero venit Saturnus Olympo

arma Iovis fugiens et regnis exsul ademptis.

Is genus indocile legesque dedit, Latiumque vocari

maluit, his quoniam latiusset tutus in oris.“

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20 Jun

Diese totale innere Fülle

Diese totale innere Fülle

Samuel Eberenz

Wieso ich, wieso ich sitze und harre, zwischenzeitlich unberechtigt hasse, ins graugrüne Stocken starre. Leitplanken, Leitgedanken, überhaupt: Gedanken. Wir sind im Auto und die andern sind draussen. Sie nehmen uns nicht wahr. Wir rasen auf der Erde, so schnell, entlang eines Teerwüstenstreifens. Der Fahrer schaltet eine Gang hoch und ich höre die Maschine des Wagens dröhnen. Sitzfleischlich in die Enge getrieben hilft nur Nachdenken, Ablenken!

Ich nehme das Buch mit den Gedichten hervor, das du mir hinterlassen hast. Doch was da erklingt, es bleibt Vages und die Räder am Wagen drehen sich. Ich verstehe nicht, der Text vergeht formvoll, vergilbt ortlos, eine stumme Sprache sprechend. Eine elliptische Echolalie erkaltet in den Niederungen.

Das zweite Buch …: da sitzt mir Markus Werner gegenüber. Wie er aussieht, weiss ich nicht. Er ist Schweizer und schreibt. Er ist Schreiber und redet viel über Frauen und isst Himbeeren. Es tropft ihm nur so rot um den Mund. Seine Charaktere sind gut, doch mein Kopf nimmt das Gebotene nicht an. Im Bauch geschnürt-konserviertes Beisammensein. Halbverdautes, einerlei.

Radionachrichten, Radiomeldungen. Es ist immer genau Uhr, nur später. Immer Fachkräftemangel, Flüchtlingsboote, immer Streik, Krise, immer Krieg, nur heute als lokales Extra ein entlaufener Kannibale. Dann kommt wieder Schubidu. Schubidu statt Schubert, das liegt am Sender. NDR2.

Mein Mitfahrer schimpft auf die Deutsche Bahn. Sitzt im Stau und schimpft über zehnminütige Verspätungen, sagt: „Uns konnte es ja egal sein, weil wir kamen mit dem Flugzeug.“
Alle schimpfen sie auf die Deutsche Bahn. Warum gibt es keine Deutsche Bahn Fans? Endlich stottern wir in den Elbtunnel, meine Gedanken stolpern hinterher. Der einzige Grund, wieso ich heute mitfahre ist Masochismus… und Sparen, Anonymität, Leichtsinn, Hirnrauschen. Orangenes Flackern. Vielleicht bin ich ja doch noch jung, jung genug, so etwas zu tun, ein um das andre Mal. Ich fühle mich als greises Kleinkind, als verbrannter Vogel im vereisten Käfig.

Ich plappere pausenlose Kleinigkeiten. Nur in meinem Kopf, versteht sich, meine Mitfahrer sind nett, tragen Kragen und segeln, jung geblieben und meermündig, doch keiner Eltern Kinder mehr. Was will man machen? Nächstes Jahr Griechenland oder Kabri. Dort wollen sie sich goldgelb braten lassen, Oliven essen und Wein trinken. Die Sonnenbrille liegt wunderschön, auf gestiefeltem Haar. Perlohringe und ich plaudern belanglos, haltlos, hilflos ausgeliefert. Ich stelle mir vor: Ihre Haut pellt sich rot von den Schultern. Ihr Kleid ist gross und weiss. Vielleicht ist sie schwanger? Wese an, wese aus, wag es, vages. Meine Füsse sind heiss. Die Schenkel rastlos. Zitternd krame ich nach dem Mineralwasser in der Tasche. Wieso ich mich nicht entspannen kann? Das müsstest du am besten wissen. Du hast meine Ruhe verdrängt, Stück für Stück. Ohne könnte ich meine Gedanken schweifen lassen ohne zu fürchten, zu flüchten. Ohne Sackgasse, ohne Magenschmerzen, ohne dich am Hafen baden gehen.

„… bis sie blutet.“ – der Fahrer hat etwas gesagt, und die andern wenden sich ihm zu und lachen. Ich habe nicht aufgepasst. Das wäre vielleicht ein guter Anknüpfungspunkt für ein Gespräch gewesen. Seine Stimme kam mir eben sehr vertraut vor, dieses pure Böse. Schade. Normalerweise bin ich ein aufmerksamerer Zuhörer, gehe gerne zu Lesungen,
immer wieder zum selben Autoren. Oft ist es ein Klappentext oder eine Rezension, die ihn mir schmackhaft macht. Dann kann ich nicht mehr davon lassen. Jede Lesung ist wieder neu, wieder anders. Und doch sitzt vorne ein Stück Mensch, reproduziert sich selbst mit Hilfe seiner Zunge, seiner Kaumuskeln, meist gelangweilt routiniert, immer anders. Wese an, wese aus.

Endlich: Beschleunigung zwischen schlafenden Kränen, blauroten Ablenkungsmonstern, Strommasten, Containern. Hier löst sich der Stau im Platzregen auf, es bleiben albern überreizte Nerven, und weiterhin Fachkräftemangel, keine Spur – und dazwischen tut Perlohring kund, dass sie keine Hülle für ihre Sonnenbrille dabei hat. Ich versuche, mir Notizen zu machen, irgendwas. Der Fahrer untersagt mir, mit dem Kugelschreiber zu klacken. Aber er darf ständig blinken, ticktack, ticktack, nur ein kleiner Tick… Ich reisse mich zusammen.

Und irgendwann dreht die Welt wieder normal, und wir rasen nicht mehr über die Welt und ich komme zur Tür herein, dort wo ich hin will und die andern lachen. Dann muss ich mitlachen, trinken und plappern… müsste ich, führe ich nicht zu denen, die zuhören, beziehungsweise mich schweigen lassen, und mir was vom Grill warm halten. Ich werde mich treiben lassen, loslassen, essen, trinken, lachen, und hoffentlich auch was zu erzählen haben. Und ob du es spürst oder nicht: Ein Teil von dir wird in mir mitmachen. Wirst du auch nie – doch hörbar werden, vielleicht.

Ich werde ihnen sagen, du seist honigsüss. Wie Messewein. Wie Götterblut.

Achtung, Achtung: Dieser Text enthält Plagiate aus Delirium N°3

17 Jun

Eine cyberdadaistische Manifestation

von Stefan Scheidegger & Samuel Eberenz

Vorgetragen auf dem Workshop »Translatieren?«, 06.06.2015


 

Sagen wir, jedem Text wohne ein Geist inne – was macht diesen Geist aus? Der Geist ist fluid, das heisst: nicht fassbar. Er manifestiert sich im Text aus der Intention und den Kontexten der Verfasserin, den Leseerfahrungen des Lesers, seinem Umfeld, vielleicht aus all dem, was seine Lektüre prägt. Man könnte aber noch ein weiteres fluides Merkmal hinzufügen: Der Geist ist zugleich an- wie abwesend: im Sinn, in der Narration, in Verweisen, im Jargon, der Rhythmik, dem Temperament und der Stimmung… Der Geist eines Textes ist eben all das, was uns einerseits einen Text verstehen lässt und sich zugleich unserem Verstehen widerspenstig entgegenstellt.

Beim Translatieren, wie wir es praktizieren, wird ein Ausgangstext mithilfe statistischer maschineller Übersetzung, wie Google Translate, durch verschiedene Sprachen hindurch übersetzt, von einer Sprache in die nächste und letztlich zurück in die Ausgangssprache. Er wird also Kraft der Algorithmen verfremdet; Und zwar entlang der häufigsten Übersetzungen der einzelnen Satzbausteine zwischen den durchwanderten Sprachen. Ein solches Translat, d.h. ein so translatierter Text, liest sich meist wunderlich, fragmentiert in Bezug auf Syntax, Bedeutungszusammenhänge und Narration, aber auch Jargon, Rhythmik, Temperament und den Gebrauch von Sprachbildern.

Diese Brüche in Aspekten des Texts, in Aspekten, welche bei der Lektüre für gewöhnlich als Grundelemente von Lesegenuss und Textverständnis auftreten, sind das Ergebnis einer programmierten digitalen Lesart, der Lesart der Übersetzungsmaschine, die andere Schwerpunkte setzt, als menschliche Leser_innen – eben auf die in einem Korpus von Texten und Übersetzungen am häufigsten vertretenen Relationen zwischen Ausdrücken in verschiedenen Sprachen. Die Übersetzungsmaschine liest den Text assoziativ analog zu menschlichen Leser_innen, jedoch folgen die Assoziationsketten einer grundlegend anderen, quantitativeren Logik und bedienen sich eines anderen Wissenskorpus.

Um zum Geist des Texts zurück zu kehren:

Apparate und Geräte sind  nicht in der Lage Sinn zu verstehen, sind pure Logik. Sie arbeiten sich an Sprache als Material ab und haben kein Sensorium für feinstoffliches, wie Bedeutung, Sinn und Geister. So kann man sagen, dass die maschinelle Sprachverarbeitung  die Sprache stellt und damit ihren Geist austreibt.

Die maschinelle Übersetzung und die damit einhergehende Fragmentierung stellen einen Sinnverlust dar. Zugleich fehlt auch die Anwesenheit einer intentionalen Verfasser_in. Die maschinelle Übersetzung treibt also dem Text seinen ursprünglichen Geist aus, oder aber pluralistisch gedacht, all seine ursprünglichen Geister und Dämonen. Doch was bleibt zurück? Ein sinn- und geistloser, ein toter Text? Ein untoter Wiedergänger? Mitnichten! Und wäre dies eine performative Lesung und keine Tagung, so würden wir diese Ausführungen hier unterbrechen und Translationen sprechen lassen.

Übersetzung bleibt. In der Tat kann es voll, und viele der Daten zeigte ein Stück mit verschiedenen digitaler Form miteinander verflochten. Sie verändern die Vereinbarung scheinbar unverbunden, um in Kraft treten.

Fahren wir aber fort!:

Der translatierte Text ist nicht von allen guten Geistern verlassen. Er ist vielmehr geradezu überbevölkert und durchsetzt mit digitalen Assoziationen, mit Sinnbruchstücken und Sprachfiguren aus verschiedenen Kontexten. Mit implizit bleibenden diskursiven Verweisen, die bald zufällig erscheinen und gleichzeitig  einer inneren Notwendigkeit folgen.

Diese Geister stammen aus dem digitalen Kanon des Korpus der Übersetzungsmaschine.

Die sich alles einverleibenden Maschine bannt die  Geister der Texte und Übersetzungen des Korpus in das Translat. Es sind dies die Mini-Irrlichter der Verbesserungsvorschläge von Nutzern des Tools und die gewaltigen Medialitäten von UN-Vollversammlungen und literarischen Klassikern. Sie alle haften den Sprachbausteinen an, welche die Maschine mit programmierter Methode aus dem sich ständig wandelndem und wachsendem Korpus auswählt und in einen neuen Text giesst. Sie spuken im neuen Text, ein ganzer Chor entwurzelter Geister, die einen schaurigen Klang erzeugen, der nur ungläubigen Materialisten als unterhaltsamer Humbug erscheinen mag.

Doch wie ist das Verhältnis zwischen dem Ausgangstext PuTTY , dem Original, wenn man so will, und dem Translat, dem neuen, translatierten Text? Ist das Original nur noch in der Textmaterie als Gerüst vertreten? Als zerfledderter roter Faden? Doch wer würde es wagen zu behaupten, dass ein roter Faden keine Manifestation des urpsrünglichen Geistes ist? Der Geist des Originals ist nicht gänzlich ausgebtrieben. Er zieht stumm, weil seiner eigenen Sprache beraubt, durch die von fremdem Geistern bevölkerten Hallen seines entweihten Tempels.

In welchem Raum befindet sich das Translat mit seinen Geistern? Woher spricht es? Was also ist sein ontologischer Status, seine Seins- und Existenzweise? Sein Raum, sein Ort scheint ein Zwischenraum zu sein. Obwohl eine Halle, ist es ein Transitort, ein leerer – oder scheinbar leerer –  Durchgangsbahnhof vielleicht. Ein Nichtort, ein Dazwischen. Und genauso haben auch diese Texte einen Zwischenstatus. Ihre Stimme ist schwach und fragil und gleichwohl ist das Original als fernes Echo eben noch zu vernehmen, aber als ein gebrochenes und polyphones. Es sind also Texte, die – gerade an ihren Rändern – sehr fragil sind, die zuweilen abreissen, abbrechen, Differenzen setzen aber auch  ausufern im Ozean der Bedeutungs- und Differenzlosigkeit. Diese Fragilität, ihr Oszillieren zwischen dem zerbrochenen Original und ihrer noch-nicht-Existenz ruft nach der Bannung des Spuks. Und Spuk zu bannen, heisst den Text als Gespenst im eminenten Sinne zu begreifen als Überredung, Eingebung, als eine Stimme also, die für sich – und nur für sich – spricht.

In unserer eigenen poetischen Auseinandersetzung mit Translaten haben wir bisher zwei Wege gefunden, den Spuk in dem Sinne zu bannen, dass wir die Texte wieder greifbar, also zum Lesen interessant, machen. Die erste Möglichkeit besteht darin, den Text durch Post-Editing weiter vom Ausgangstext zu entfernen und die Fragmente in eine neue, kohärente Form zu weben. In diesem Textil entsteht so ein neuer roter Faden und die fragmentarischen Geister der Translation werden mit dem Text in Einklang gebracht und zu einem neuen geformt. Der neue Text funktioniert nun eigenständig. Ausgangstext und Translation sind für die Lektüre des Produkts unerheblich, sie waren lediglich Inspirationsquellen im Entstehungsprozess.

Die zweite Möglichkeit  besteht hingegen darin, das Translat mit dem Ausgangstext zu framen. Der Geist des Originals, der im Translat seiner Sprache beraubt und nicht mehr wahrnehmbar war, wird durch das Nebeneinanderstellen beider Texte wieder sichtbar. Er wird durch die geframte Lektüre wieder-erkannt und verleibt sich die fragmentarische Geisterhorde der Translation ein. So lässt sich der Text – erweitert und verfremdet – wieder verorten. Einerseits ist  das Translat ein Update des Originals im Zeitalter seiner digitalen Reproduzierbarkeit, kommentiert es, schreibt sich in ihm ein und überschreibt es – und umgekehrt ist auch das Original Kommentar zum neuen Text.

Lasst mich diese doppelte Relation an einem kurzen  Beispiel erklären. Es ist ein kurzer Imperativ, der es qua seines Ausrufezeichens ist, mit dem Wortlaut “News and much more!” – In diesen vier Worten hören wir entweder den von Werbetextern verfassten Schlachtruf einer Internetfirma oder aber den Aufschrei einer auf Nachrichtenwerte fixierten Gesellschaft. Bezeichnend für das Translat ist alleine schon die Tatsache, dass wir ohne Kontext den Satz sowohl affirmativ als auch kritisch lesen können. Die Referenz bleibt uneindeutig, ist gebrochen, was gerade die Frage nach ihr aufwirft. Welche Stimme spricht sich darin aus?  Worauf beziehen sich die “News and much more!”? Der Ausgangstext, also das Original, welches durch alle auf Google Translate verfügbaren Sprachen gescheucht wurde um zu “News and much more!” zu werden, ist Kants Kategorischer Imperativ. – – – Diese zusätzliche Information, das Framing mit dem Ausgangstext, löst sofort eine Menge neuer Assoziationen aus. Einerseits können wir das Translat als zynisches Update des Kategorischen Imperativs lesen. Andererseits können wir den neuen  Imperativ “Neuigkeiten und vieles mehr!” mit Kant kommentieren: seine 230-Jahre alte Stimme ruft uns dazu auf, nicht einfach einer an Welt verlorenen Neugierde zu fröhnen, für deren Stillung die einzige Qualität jene der Neuigkeit ist. Kants Imperativ befiehlt uns, wenn wir frei sein wollen, was unsere Pflicht ist, im Sinne des Kategorischen Imperativs zu handeln, während das Translat nur auf Aktualität verweist und jegliche Qualitäten, wie Werte, moralische Appelle, Sinn und Bedeutungen in der schieren Quantität des differenzlosen und verallgemeinernden “much more!” untergehen.

Unsere poetische Suche ist noch nicht an ihrem Ende angelangt. Wir fragen uns, wie eine dritte Möglichkeit aussehen könnte, um ein Translat zugleich im Spuk des Zwischenraums zu belassen und doch greifbar genug zu machen, so dass es auch ohne das Konzept der Translation zu kennen und damit auch ohne dem Framing durch das Original für sich stehen kann.