Pottery Slam (gänzlich ungeeignet zum stillen Konsum)
Gestern hab ich den Paarreim entdeckt /
Itzt schreib ich Gedichte, auch wenn’s oft aneckt /
Es handelt sich dabei übrigens um moderne Mingel-Paare /
Die leben oft in Fernbeziehung und häufig kommt der eine gar nicht mehr wieder und wenn doch, dann nach so langen Silben, dass man schon gar nicht mehr merkt, wie ich geschummelt habe /
Ich reime also gut und munter /
Und damit man auch hört, dass sich wieder ein Paar gefunden hat, geh ich immer am Ende mit der Stimme runter /
Für meine Scam-Poetry mische ich KIZ mit Hölderlin /
Und manchmal noch ein bisschen Yellow Submarin /
Autsch! /
Der letzte Reim krümmt sich unter Schmerzen /
und schaut mich vom Papier aus bekümmert an /
Er seufzt und sagt: „Wer heute noch reimt, muss wirklich gute Gründe haben, /
gerade als Germane sollte man auf Stabreime bauen und nicht auf ungleiche Paare.“ /
Er fragt mich, was ich von Hölderlin denn drinnen habe /
Und warum ich „habe“ schon dreimal als Endreim genommen habe /
Ich zögere, mache einen Witz über konservierte Fäkalien, und sage /
Von Hölderlin die betonte erste Silbe und zweitens, weil ich es so empfunden habe /
Der Reim runzelt den Gleichklang, scheint besorgt, /
er sagt: „Das nennt man Auftakt.“ /
Ich schreibe es auf /
Er sagt: „vier mal habe“ – schaut mich unheilvoll an /
Plötzlich stehen die Reime nackt vor mir auf, /
ein trauriger Haufen richtet sich auf: /
entdeckt aneckt /
Paare habe /
munter runter /
Hölderlin Submarin /
habe habe /
sage habe /
auf auf /
Kerl! Was denn los sei? fragen die Wortgeister im Chor: /
Ob er noch bei Trost sei, dies als Lyrik vorzutragen? /
Recht haben sie: Ich werde von nun an statt mit Poetry Scam mit Prosa Spam aufwarten: /
Zusammenkombiniert aus Statusmeldungen und Ratgebern für urbane Bierschlucker in Ausbildung, Orient und Orientierungsphase /
Das ganze Gewurstel dann durchrythmisieren wie den Gletscherexpress und nach Strich und Faden aufspannen /
indem ich dabei nur noch wie bei hundert Metern Freistil schnischnaschnappi-atme. Ich werde lauter rhethorische Fragen stellen und in einer Kneipe voll Hedonisten erzählen, dass man im Sommer aufgesprungene Lippen küssen müsse um wirklich gelebt zu haben /
Doch statt abzuheben, zu schweben, beginnt mein Text mich gemächlich an einer verspiegelten Wand entlang abzuseilen. Ich kann brüllen und schreien. Unten angekommen bin ich allein. Ich schaue zurück und erkenne: Meine Punchline hält mich für dumm /
„Er rief zu uns nicht ohne Höh’n: /
Das ist nicht schon! /
Ein Leben ohne gute Tode, /
Ein Warten auf die schnelle Tat, /
Wer will das schön? /
So rief er von seinem Hohn. /
Doch er selbst tötete nichts /
Bis ihn dann die Tage taten. /
– Bravo“ höre ich sie sagen /
„Die billigste Waffe des Schreibers: Selbstironie.“ /
Recht hat er. Jetzt ist Zweifeln angesagt. Ich betrachte mein Spiegelbild stundenlang und ekel mich, einfach weil ich das mit dem Ekelspiegel schon so oft gelesen habe /
Der Spiegel lacht, es klirrt nicht mal gemein: /
Er sagt, er fände meine Vergleiche schön wie eine Rose und meine Sprache ganz geil. Klar, ich bin keine blonde Frau, aber wär doch alles halb so wild /
sagt er, er ewarte nur ein bisschen carpe diem mit Selbstreflex und ein provokantes Bild /
Oje! Da kommen schon wieder Paarreim aus den Fugen gekrochen. Wild und Bild blitzen mich an, toben, als hätt ich was verbrochen /
Sagen: „Kerl! Das kann doch nicht alles gewesen sein“ /
Das Leben: wirklich hundsgemein /
Ich betrachte mein Spiegelbild stundenlang und ekel mich, einfach weil Refrains hier eine starke Lobby haben /
Doch sechs Minuten sind noch immer nicht vorbei. Ich versuche also weiter mit klobigen Fingern die Seelenharfe anzuschlagen. Die Seele. Die Rosaroten Rosenblüten /
Doch, oh weh, es klingen keine Harfenklänge, stattdessen tausend wütende Silben, die freie Liebe fordern und sich ganz ohne mein Zutun paar’n /
und meine rostige Metrik zum entgleisen bringen /
Ich reagiere sofort, setze auf Inhalt, sage etwas efrauzipiertes über Dativ, Liebe, Bart und Bauch, erzähle eine Anekdote über Strassenlaternen und Substanzenmissbrauch. Dann mache ich noch einen Outsiderwitz über schwizer-dütsche Dialektik. Das macht rebellisch und erwachsen, hipp ohne Hippster zu sein, ich fahre ohne Licht, ein Spiessrutenlauf zwischen verlorenen Nebensätzen, unnötigen Semikola, ich beuge mich unter einer genrèfremden Regieanweisung durch, verliere den festen Satzbau unter der Feder, wanke irrlichternder Apostrophitis entgegen, stolpere über eine ausgestreckte Fussnote und breche mir das Ego auf Seite drei unten /
Im Spital findet ein Slam statt, Monat für Monat. Hier muss ich aufstehen, gehen lernen /
Doch was bleibt mir zu sagen, fiebrig auf der Bühne, vor mir ein Meer aus geputzten Gesichtern. Auch Freunde warten, in rosatoren Bademänteln und winken mir vorm Scheinwerfer zu. Was bleibt zu sagen, im grellen Licht, neben Prosa Spam und Poetry Scam – was zu ertragen? /
Für heute habe ich mir folgendes ausgedacht: /
Ich gründe eine Rosa Gang und betreibe Pottery Slam, /
schlage im Finale einen Salzstreuer kaputt /
und flüster am Ende: /
“Scherben bringen Schutt” /
Dankeschön.